Artikel in der Zeitschrift „Praxis Kommunikation“
Was ist gerade schwer im Leben?
Beim Coaching helfen Baum, Stein, Feder, und überhaupt alles, was die Natur bietet. Ein Erfahrungsbericht.
Plötzlich krachte es, ein riesiger Ast fiel aus dem Baum neben uns auf die Erde. Erschrocken hielten wir inne. Auf meine Frage: „Was war das?“, sagte meine Klientin: „Mein Mann“. Fassungslos und irritiert starrte sie auf diesen Ast, und ich sah es ihr an: innerlich formierte sich ihre Antwort auf dieses „Zeichen“.
Die Arbeit mit Klienten in der Natur ist immer wieder überraschend. Diese Klientin war mit einer großen Unzufriedenheit zu mir gekommen. Sie wollte seit Wochen ihre Wohnung samt Büro von Müll und überflüssigen Dingen befreien, doch es gelang ihr nicht. Sie wusste, dass sie sich mit viele zu vielen Dinge umgibt, und wollte sie ernsthaft loswerden. Doch etwas blockiere sie. Damit wollte sie sich an diesem Tag auseinandersetzen, und zwar draußen an der Natur.
Ich bat sie, mit ihrem Ziel vor Augen einen Ort zu finden, der als Symbol oder Stellvertreter für ihr erstrebtes Ziel dienen kann. Und darauf zu achten, was ihr auf dem Weg um sich herum wahrnimmt. Auch: welche Hindernisse sie spürt. Nachdem sie ein kurzes Stück gegangen war, entdeckte sie einen Käfer, der auf dem Rücken lag. Sie wollte dem Käfer auf jeden Fall helfen und drehte ihn behutsam um. Kurz darauf bemerkte sie einen Baumstamm, der zum Sitzen einlud. Sie setzte sich und ruhte sich aus. In diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie gern Umwege geht und dass ihr es wichtig ist anderen zu helfen. Als wir weitergingen, fragte ich sie, wer sich ihr dabei in den Weg stellen könnte. In diesem Moment krachte der Ast neben uns nieder.
Bei unserem ersten Gespräch hatte sie mir gesagt, dass sie vor Jahren ein Kind verloren habe, es wurde tot geboren. Mag sein, dass das Loslassen seither ein Problem für sie geworden war. Doch ich behalte meine Vermutung für mich. Und dann sagte sie, als der Ast neben uns fiel, sie habe Angst, ihren Mann zu verlieren, wenn es ihr nicht endlich gelinge, die Dinge in der gemeinsamen Wohnung, vor allem im Schlafzimmer, zu ordnen. Ihr wurde klar, dass sie mit ihrem Mann über ihre Ziele und ihre Bedürfnisse reden müsse. Überhaupt mehr ins Gespräch kommen müsse. Vor allem über ihr Bedürfnis nach Ruhe und ihren Wunsch, anderen Menschen zu helfen.
Die Natur, Mutter Erde, dient auf unterschiedliche Weise als Trostspenderin, Spiegel, Lehrmeisterin, Motivatorin. Ich selbst habe gute Erfahrung damit. Bewegung in der Natur half mir schon früh immer wieder, mich mit meinen Bedürfnissen und Werten in Kontakt zu bringen und stärkt mich heute noch im Vertrauen auf mich und meinen Lebensfluss. Ich habe eine Naturcoaching-Ausbildung absolviert, gehe seither voller Begeisterung mit allen naturverbundenen Klienten nach draußen und habe festgestellt, dass das Arbeiten im Naturraum sehr heilsam ist.
Der Zugang zur Natur ist individuell sehr unterschiedlich. Ich überlege stets gut, für welchen Klienten sich diese Arbeit anbietet. Die Natur weitet den Coaching-Raum, was den Coachingprozess noch weniger vorhersehbar macht als er ohnehin ist. Dafür wird er auf jeden
Fall besser spürbar und erlebbar. Alles kann meiner Arbeit zu Hilfe kommen: Blumen, Bäume, Steine, ein Tier, aufkommender Wind. Es liegt am Fokus des Klienten.
Schon die ersten Minuten, das Ankommen in der Natur, sind sehr unterschiedlich gestaltet. Der eine Klient ist noch voller Unruhe und mit seinen Gedanken befasst, der andere genießt zunächst einmal nur. Atem- und Wahrnehmungsübungen unterstützen das Ankommen. Die Unruhe schwindet durch Gehen und Sprechen. Der Klient bestimmt die Richtung und Geschwindigkeit. Im zweiten Schritt nähern wir uns dem aktuellen Thema des Klienten. In der Regel, wie oben mit meiner Klientin, über das Gespräch. Weiß der Klient an dieser Stelle nicht so recht weiter, beziehe ich bereits hier die Natur komplett mit ein (siehe Beispielübung weiter unten).
Das weitere Vorgehen gestaltet sich sehr unterschiedlich. Der eine nimmt eine konkrete Übung dankbar an, der andere Klient sucht nach konkreten Antworten in der Natur. Dabei hilft es, sich als Stellvertretenden einen Platz oder einen Naturgegenstand für das aktuelle Thema zu suchen. Die natürliche Umgebung wird so automatisch Teil des Prozesses. So erleichtert der Platz auf einem Hügel einen Überblick über sein Thema zu bekommen, während sich der Klient im Wald geborgen fühlen kann. Der Anblick einer blühenden Wiese kann ein Fest für unsere Augen sein und der Duft uns verzaubern. Auf dem Berg oder einem Hügel kann sich ein Gefühl der Weite und Freiheit einstellen, während das Meer uns in der Regel beruhigt.
Aufmerksam und präsent versuche ich zu spüren wieviel Zeit und Raum mein Klient für das Erleben benötigt. Oft ergeben sich Antworten schon durch dieses Erleben und Eintauchen – das Anlehnen an einem Baum, das Beobachten eines Tieres, oder das Erspüren der Atmosphäre eines Ortes, der für den Klienten eine Bedeutung hat.
Am Ende meiner Coaching Einheit biete ich die Möglichkeit an das Erlebte zu ankern, um es dadurch leichter zu integrieren. Dies geschieht meist durch Hausaufgaben, Veränderungen im Leben passieren ja nicht auf Knopfdruck, sie müssen eingeübt werden. Am Ende der Coachingeinheit finden wir für die neue Erfahrung eine Geste, einen Satz, der geankert und durch tägliche Übungen wieder abgerufen wird. Nach meiner Erfahrung braucht es mindestens drei Wochen, bis die neue Botschaft wirklich verinnerlicht, Teil der Persönlichkeit meiner Klienten wird.
Die Hausaufgabe kann auch in einem kleinen Ritual bestehen, das die neue Verhaltensweise zu verinnerlichen hilft. Vieles ist möglich:
Thema Entschleunigung: Zünde dir jeden Morgen eine Kerze an und trinke in aller Ruhe deinen Tee.
Thema Bequemlichkeit: Nutze jeden Tag die Treppe und vermeide den Fahrstuhl.
Thema Ballast loslassen: Entsorge täglich einen Gegenstand aus deiner Wohnung.
Hausaufgaben machen nur dann Sinn, wenn der Klient sie als richtig und wichtig erachtet. Insofern empfehle ich, diese Übungen oder Rituale zusammen mit dem Coach zu entwickeln. Meine Klientin hat sich in dem oben angeführten Beispiel selbst die Hausaufgabe gegeben mit ihrem Mann zu reden. Sie nahm sich dafür einen konkreten Tag vor und übte mit mir den Inhalt des Gespräches.
Solltest du als Coach noch wenig Erfahrung mit dem Arbeiten in der Natur haben, dann experimentiere gerne mit dir selbst. Geh raus mit deinen Fragen, Sorgen, Ängsten und erfahre, was die Natur dazu sagt. Oder probier selbst die folgende Übung aus, die ich für meine Klienten und meine Seminarteilnehmer entwickelte.